Während meinem Besuch bei Schwester Lucy regnet’s während Tagen ununterbrochen. Der Rio Piraí steigt auf unüberwindbare sieben Meter an. Reissende Fluten schotten uns ab. Ganze Strassenabschnitte sind unpassierbar, Schlamm überall. Der Strom fällt für 48 Stunden aus. Abends ist es früh finster, nur ein paar Kerzen geben Licht. Die Geräusche aus dem Wald sind laut, intensiv und schön. Für die Krankenstation ist das Ganze jedoch weniger idyllisch. Dort fällt der Kühlschrank mit den Impfungen aus. Sie müssen zu einem Nachbarn evakuiert werden. Warum dieser Strom hat? De hät heimlich ä anderi Stromleitig azapft. Smart!
Als Lucy hier ankam, gabs aber weder Strom noch Telefonanschluss. Wie das damals mit dem medizinischen Minimum wohl zu und her ging? Als die Cholera ausbrach und sie die Menschen an Händen und Füssen mit Infusionen versorgten? Unvorstellbar! Lucy erzählt, dass man früher bei einem Notfall auch im Dunkeln sein Zeugs finden musste. Drum gilt bis heute eine präzise Organisation: Alläs hät sin Platz. Vor allem die Medikamentenkammer beeindruckt mich: Der Traum eines Inventar-Fetischisten. Die Medis selbst kommen meist aus Deutschland. Sie hangen zwar stets ewig am Zoll fest, denn Post zu empfangen, das sei bis heute schwierig. Aber Medis aus Europa seien einfach besser. Hier könne man zwar ein Paracetamol kaufen, aber ob auch Paracetamol drin sei?
Jeden Morgen warten die Menschen in einer langen Schlange vor dem Eingang. Sie kommen aus allen Himmelsrichtungen – wenn es die Strassenverhältnisse denn zulassen. Teils ist die Klinik ihre letzte Hoffnung. Hier gehts an erster Stelle darum, den Menschen zu helfen, Zugang zur Gesundheitsversorgung zu ermöglichen. So verlangen Lucy und ihr Team von den ärmsten Patienten häufig nur einen minimalsten Unkostenbeitrag. Ein paar Rappen. „Man kennt sich halt und man weiss, wer nichts hat.“
In den Behandlungsräumen führen sie Behandlungen von ambulanten Patienten und Sprechstunden durch. Zudem gibts ein winziges Labor und einen Raum für kleinere Eingriffe. Die Infrastruktur ist für Schweizer Verhältnisse scho rächt alt, aber wird mit so viel Sorgfalt gepflegt, dass sie bestimmt nochmals weitere 40 Jahre im Einsatz bleiben kann. Auch Hausbesuche oder Impfbesuche im nahegelegenen Gefängnis gehören zum Alltag der Krankenschwestern. Das Team ist wahnsinnig familiär. Renato beispielsweise stiess vor über 20 Jahren als Krankenpfleger zum Team. Er musste in der Schule auf einer Matratze schlafen, weil es an Unterkunft fehlte. Doch er ist bis heute geblieben und ist mittlerweile sogar Arzt.
Ihr fragt euch, wie das hier alles finanziert wird? Gemäss Lucy stammen die Spenden aus dem Kirchen-Umfeld sowie aus privater Hand. Ich selbst hätte ja nie gedacht, dass ich mal so hinter die Kulissen sehen darf – doch hier auf der Krankenstation kann ich aus erster Hand sagen: Die Spenden gehen definitiv zu jenen, die es wirklich brauchen.
