Für uns gings einmal direkt nach Miami Beach. Könnte man meinen. Natürlich nicht, aber es kommt mir vor, als wären wir hier bei den Desperate Housewives gelandet. Die Reise führte nämlich vom eher bescheidenen Santa Cruz nach Rada Tilly, einem Vorort der Stadt Comodoro Rivadavia.
Man muss sich das so vorstellen: Autos so teuer und Gärten so geschniegelt, dass es fast in den Augen brennt. Eine Sportpromenade, auf der operierte Muttis entlang joggen, ziert den Strand. Begleitet von kleinen Kläfzger-Hunden mit Pelzmänteli. Zudem kann das ganze Angebot an Schönheitsoperationen live begutachtet werden. Ein paar Männer kurven mit ihren 25l/100km SUV’s rum und protzen. Hier wird einfach jeder Stereotyp erfüllt. Die Villen sind alle konsequent dreistöckig und nigelnagelneu. Pool inklusive. Eine andere Welt! Doch es ist definitiv nicht alles Gold, was glänzt. Die Frage, warum in Rada Tilly so viel Cash rumliegt, können wir nämlich nicht lange für uns behalten. Die Antwort lautet: Erdöl und Erdgas.
Von einem jungen Mann erfahre ich, dass in Santa Cruz wohl eher die armen Arbeiter leben und in Rada Tilly jene, die sich hinderschi und fürschi verdienen. Er selbst sei in Rada Tilly aufgewachsen, als es noch ein kleines Kaff war und kein Miami 2.0. Er äussert sich besorgt und sehr kritisch: „Dieser Eingriff in die Natur könnte uns hier noch grausam um die Ohren fliegen.“ Es gäbe unter den Anwohnern ganz klar zwei Lager, pro und kontra.
Die Augen vor dem Petroleum-Abbau können in Patagonien echt nicht verschlossen werden. Bereits auf der Tierra del Fuego begrüssten uns zahlreiche Fracking „Hammer“. Und mittlerweile, entlang der argentinischen Ostküste, reihen sie sich am Horizont nur so aneinander. So-we-it das Auge reicht. Doch warum genau steht das Hydraulic Fracturing derart in der Kritik? Es sei eine besonders umweltschädliche Art, Erdöl sowie Erdgas zu „pumpen“. Die Methode verbraucht einerseits wahnsinnige Mengen an Wasser und kontaminiert zudem das Grundwasser. Denn mit jedem „Hammerschlag“ gibt es unterirdische Explosionen. Bislang sei nicht klar, ob die entstehenden Risse in der Erde langfristig für mehr Erdbeben sorgen oder andere Gefahren hegen. Dies so kurz zusammengefasst.
Eigentlich will ich die Hämmer alle nur aus dem Boden rupfen. Doch die Realität schmerzt, denn: Ich sitze hier seit fast sechs Wochen selbst im benzinbetriebenen Auto. Und fühle mich schuldig. Mein Vergnügen in der Natur geht ganz auf Kosten der Natur. Welch verrückter Gegensatz. Hier ein Nationalpark zum Schutz der Flora und Fauna und ein paar Kilometer nebenan wird die Natur so ausgebeutet. Das isch doch en Witz. Seither geht kein Tankstellenbesuch vorbei, ohne dass ich das Bild der Fracking Hammer vor mir sehe. Das hät mi scho wachgrüttlät. Ich will in Zukunft aktiver sein, mich mehr für die Umwelt engagieren, mich informieren und bewusster entscheiden. Zugleich ist mir bewusst, dass ich die ganze Ölindustrie nicht so hart verurteilen darf, solange ich selbst noch Fliege, Auto fahre und Produkte aus Kunststoff nutze. Alternativen sind gefragt!
